Prof. Dr. Michael Hüther: Startups sind das, was jede Wirtschaft braucht

 

Sie sind seit 2004 Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. An welchen Fragen und Forschungsgebieten arbeitet Ihr Institut aktuell?

Prof. Dr. Michael Hüther: Wir decken ein ganzes Füllhorn an Themen ab. Eines der wichtigsten ist wohl der Strukturwandel. Und deshalb nicht so sehr die kurze Frist der Konjunktur, sondern die langfristige Entwicklung von Wachstum und Verteilung. Bildung, das Investieren und die Bedingungen des Investierens, das politische System und wie Unternehmen sich diesen Bedingungen stellen.

 

Für welches Thema brennen Sie persönlich besonders?

Prof. Dr. Michael Hüther: Ich bin als Volkswirt vom Schwerpunkt her Finanzwissenschaftler und finde es spannend, wie der Staat fiskalisch agiert, seine fiskalische Bilanz, die Schuldenkalkulation und wie sich die Schulden im Laufe der Zeit entwickeln.

 

Außerdem kommt der Historiker in mir zum Tragen: mich interessiert zu sehen, wie Pfadabhängigkeiten im Strukturwandel nachwirken. Viele Dinge lassen sich nicht aus dem Gestern, sondern aus dem Vorgestern erklären. Die Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert sind insbesondere durch unsere Kleinstaaterei und hohe Regionalität in Deutschland geprägt – im Gegensatz zu Frankreich, wo Paris der „Nabel des Landes“ ist. Stattdessen haben wir Industrie in regionalen Clustern in der ganzen Republik.

 

Welche Wirtschaftszweige werden in den nächsten Jahren für Deutschland an Bedeutung gewinnen, welche vielleicht verlieren?

Prof. Dr. Michael Hüther: Die Frage ist: geht es wirklich um die Wirtschaftszweige oder eher um die Art des Leistungs-Versprechens?

 

Die Automobilbranche wird sich immer mehr zur Mobilitäts-Branche entwicklen. Es wird darum gehen, Lösungen für autonomes und emissionsfreies Fahren zu finden. Menschen benötigen immer mehr Bewegungsfreiheit im öffentlichen Verkehr. Es braucht intermodale Konzepte zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern: beim autonomen Fahren wäre es denkbar, dass das selbstfahrende Auto direkt am Bahnhof vorfährt, an dem ich gerade aus dem Zug steige, um so direkt weiterfahren zu können.

 

Natürlich wird es weiterhin Eisenbahnen geben, denn diese haben sich für Massentransporte etabliert und als effizient herausgestellt; die Digitalisierung vermag einen neuen Schub für die Leistungsfähigkeit bringen. Die Botschaft kann nicht sein, dass alle zu Hause sitzen. Die Interaktion wird differenzierter, damit man sich keine Sorge über den ökologischen Fußabdruck machen muss.

 

Den deutschen Maschinenbau wird es auch künftig geben, weil wir die besten Maschinen der Welt bauen. Auch hier wird von klassischen Maschinen bis 3D-Effizienzsteigerung und Emissions-Freiheit viel passieren. Die Industrie 4.0 ist das Versprechen, digital, hocheffizient und kostenattraktiv hochklassige Produkte zu produzieren. Es kommt nicht darauf an, was wir machen, sondern wie wir es machen. Auch künftig werden wir Chemie, Stahl, Bau und Gipsproduktion brauchen – Effizienz fängt bei den Grundstoffen an. Wir müssen zeigen, dass wir die Wasserstoffstrategie auch zügig umsetzen können.

 

Was sind die gravierendsten Veränderungen in der deutschen Unternehmer-Landschaft, die Sie beobachten durften?

Prof. Dr. Michael Hüther: In den letzten 15 Jahren waren wir unverändert ein erfolgreiches Industrieland – und das ist bemerkenswert, denn das haben Viele nicht erwartet. Wir haben Anpassung, Agilität und Flexibilität erlebt. Den Einzug der Digitalisierung sowie neuer Geschäftsmodelle und erweiterter Vorleistungs-Netzwerke.

 

Deutschland ist eine Cluster- und Netzwerkindustrie und diese räumliche Dichte bringt Vorteile. Viele Branchen-Cluster und die Bündelung im Raum machen Effizienz in Deutschland möglich. Klassische Unternehmen nutzen digitale Plattformen für Aufträge, Logistik und Vieles mehr. Das macht uns heute ganz anders steuerungsfähig. Wenn man flexible Netzwerke hat, ist Digitalisierung keine große Überraschung. Sie ermöglicht Informationsaustausch und steuerbare Differenzierungsleistung.

 

Keine andere Wirtschaft ist so international wie die deutsche, was durch unsere Flexibilität bedingt ist, unterschiedliche Märkte und Kulturen anzunehmen und Lösungen zu entwickeln.

 

Wie haben Sie das vergangene Jahr – stark durch Corona geprägt – wirtschaftlich wahrgenommen? Was hat Sie überrascht? Positiv wie negativ?

 

Prof. Dr. Michael Hüther: Ein exogener Schock ändert die Megatrends nicht. Sie werden zwar vielleicht intensiver, dringlicher und beschleunigt, aber nicht abgelöst. Bemerkenswert war, dass große Industrieunternehmen es geschafft haben, ihre Anpassungsversäumnisse aus den vorgegangenen zwei Jahre abzuschütteln und sich für die Zukunft und neue Dinge fit zu machen. Im internationalen Vergleich stehen deutsche Unternehmen sehr gut da. Wenn man den Vorhang Corona beiseite zieht, muss man aber auch feststellen, dass die Grundrechtseinschränkungen gut verkraftet wurden.

 

Wie schätzen Sie die Relevanz von Startups für die deutsche Wirtschaft ein?

Prof. Dr. Michael Hüther: Das ist das, was jede Wirtschaft braucht. Wir haben zu wenige Existenzgründer. In Berlin oder München haben wir eine gute Kultur an international agierenden Startups mit positivem Beitrag zum Wachstum, wie es nun auch in Berlin der Fall ist. Genauer gesagt war dieser erstmals positiv und zuvor immer negativ. Was an der speziellen Geschichte mit doppeltem Strukturwandel durch die Teilung der Stadt kam. Siemens zum Beispiel ist damals von Berlin anch München gewandert und nie zurückgekehrt. Doch Berlin ändert sich und Startups können durch Impulse viel in einer Region mitbewegen und so die Schwelle zum positiven Beitrag beschreiten.

 

Was wünschen Sie sich von den Gründer:innen von Morgen?

Prof. Dr. Michael Hüther: Warum haben wir nicht mehr, die den Weg der Gründer:innen gehen? Wer gründet, möchte neue Wege gehen und Risiken tragen. Eine Gründung zu managen und daraus etwas zu machen, erfordert ein bestimmtes Profil, und wir brauchen mehr davon. Die beste Orientierungshilfe sind dabei Venture Capital Firmen und Business Angels. Es ist nicht die Frage, was wir den Gründer:innen sagen müssen, sondern was die Marktwirtschaft im Wettbewerb darf. Wir müssen das „Gründungsgen“ weiterverbreiten und unternehmerischen Erfolg positiv bewerten.

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