Keine neuen Ideen? – dann kann man zusperren
Interview mit Peter Aicher

Peter Aicher, Geschäftsführer der AICHER GROUP GmbH & Co. KG, gab 1985 seinen Arbeitsplatz bei der Stadt München als Verkehrsmeister auf und gründete die Aicher Ambulanz mit einem Mitarbeiter und einem Krankenwagen.

Seit 35 Jahren bietet die Aicher Ambulant als Münchner Rettungsdienst schnelle und effiziente Hilfe bei Notfällen. Mit über 500.000 Kunden pro Jahr zählt die Aicher Ambulanz Union zu den führenden privaten Anbietern der Branche.

 

Was waren die Erfolgsfaktoren der Aicher Ambulanz?

Der Markt gibt den Bedarf her und es gab damals nur die großen Hilfsorganisationen. In Norddeutschland gab es bereits private Krankendienste, in Bayern allerdings nicht. Wir hatten genügend potenzielle Kunden, gutes Personal und ein kollegiales Verhältnis, welches essenziell ist. So konnten wir innerhalb kürzester Zeit von einen auf vier Krankenwagen aufstocken. Heute sind wir 1200 Kollegen und rekrutieren täglich 20 bis 30 neue Mitarbeiter aufgrund der Corona-Zusatzaufgaben.

 

Apropos Corona, welche Auswirkungen hatte die Pandemie sonst noch auf Ihr Unternehmen?

Auch wir mussten unsere 250 Mitarbeiter am Flughafen München in Kurzarbeit schicken. Logischerweise gingen die Auftragszahlen für den Mobility Service aufgrund weniger Flüge in den Keller. Inzwischen ist es uns gelungen, alle Mitarbeiter durch interne Weiterbildungen, wie die Sanitätsausbildung oder dem Einsatz an Teststationen und Impfzentren aus der Kurzarbeit zu holen.

 

Sie tragen mit Ihrem Team also aktiv zur Pandemie-Bekämpfung bei.  

Der Beitrag macht uns sehr stolz. Die gegenwärtige Krise ist allerdings nicht die erste “Großschadenslage”. Während des rassistischen Attentats am Olympia-Einkaufszentrum, waren wir ebenfalls mit 100-120 Helfern am Schadensort im Einsatz. Damals hatte unser Rettungsdienstleiter Hochzeit gefeiert und plötzlich gingen alle unsere Piepser an. Bis auf Braut, Bräutigam und engste Verwandte sind dann alle ausgerückt, um zu helfen, was das Team nachhaltig geprägt hat.

Auch während der Flüchtlingskrise 2015 haben wir am Münchner Hauptbahnhof tausende von Asylsuchenden medizinisch gescreent. Wir haben in drei Wochen im Dauereinsatz Tag und Nacht Menschen medizinisch versorgt und auf die verschiedenen Unterkünfte verteilt. Durch unsere Dienstleistungen konnten wir uns einen Namen machen und haben von der Stadt München große Dankbarkeit ausgesprochen bekommen.

 

Gibt es ein besonderes Erfolgserlebnis, von dem sie berichten wollen?

Der Sanitätsdienst auf dem Oktoberfest lag 133 Jahre beim Roten Kreuz. Dann hat die Stadt München eine Ausschreibung gestartet. Wir hatten uns aufgrund der festen Strukturen und der vielen Ehrenamtlichen keine Chancen ausgerechnet, doch der Zuschlag ging an uns – das hat uns natürlich sehr gefreut.

Natürlich gab es damals auch widere Umstände und viel Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, denn schnell kamen Stimmen wie „Schafft ihr das überhaupt? Und habt ihr genügend Leute?“ auf uns zu.

Wir haben dann sehr viel in Medizintechnik investiert und konnten aus knapp tausend Bewerbungen aus dem In- und Ausland schöpfen. Natürlich hatten wir größten Respekt vor der Aufgabe und viele haben erwartet, dass wir scheitern, aber diesen Gefallen haben wir niemandem getan. Durch unser schlagkräftiges Team war der Auftrag ein voller Erfolg. So konnten wir Schritt für Schritt Zeichen setzen

 

Was hat es mit dem neuen Schulungszentrum auf sich? Steht dort wirklich ein echter Rettungswagen im OG?

Unser Notfall-Simulationszentrum befindet sich auf der Zielgeraden. In der Notfall-Arena können sämtliche Notfälle – vom Zimmerbrand bis zur Person unter der U-Bahn – mit Hilfe von neuester Technik wie VR-Brillen realitätsnah „durchlebt“ werden. Als Ausbildungsbetrieb können wir unsere Mitarbeiter sofort ins Einsatzgeschehen versetzen – auch Polizei und Feuerwehr haben sich bereits für Übungen angemeldet. Wir können so auch Notsituationen schulen, die – glücklicherweise – nicht so oft vorkommen und sind im Ernstfall vorbereitet. Außerdem gibt es ein Rettungsdienst-Stüberl, in dem man sich einfach mal auf einen „Ratsch“ zusammensetzen und sich wohlfühlen kann.  Auch das ist wichtig.

 

Woher nehmen Sie die Kraft für neue Projekte?

Meine Kraft schöpfe ich vor allem aus meiner Familie. Ich bin dreifacher Opa und Vater. Außerdem habe ich eine sehr aktive Frau, die mich zum Sport motiviert. Aktivität in der Natur und die Entwicklung der Kinder sehen, das sind die Dinge, die mir neben dem stressigen Job Kraft geben.

Wenn ich mit meiner Frau unterwegs bin, komme ich auf andere Gedanken und bespreche Familienthemen. Wenn ich allein bin, habe ich Zeit zu reflektieren und kreativ zu sein und für aktuelle Herausforderungen des Betriebes Lösungen zu finden.

Ich bekleide auch mehrere Ehrenämter, die mir viel abverlangen und gleichzeitig Kraft spenden. Dazu zählt die Vorstandschaft beim SV Dornach und dessen Jugendarbeit sowie das über 20-jährige Engagement im Lions Club Aschheim mit seinen vielfältigen Aktionen.

 

Wofür brennen Sie?

Aus meinem Beruf etwas zurückgeben, das möchte ich tun – und zwar nachhaltig. Wir unterstützen zum Beispiel das Kinderhospiz, das jährlich 360 Kinder in den Tod begleiten muss. Der mobile Bereich, also zur Sterbebegleitung zu den Familien zu fahren, hängt an wirtschaftlichen Mitteln, wie einem Fuhrpark. Deswegen haben wir drei von uns finanzierte Autos gespendet.

Mit unserer gemeinnützigen GmbH wirken wir auch im Katastrophenschutz mit. Wir nehmen jede freie Minute, um neben den COVID-Zusatzaufgaben wieder mit dem Krisendienst starten zu können. Dieser wurde schon vor vielen Jahren eingeführt – auch für eigene Mitarbeiter, die im Einsatzdienst schwierige Erlebnisse verarbeiten müssen.

Ich finde es außerdem spannend zu sehen, wie sich Leute, die mit uns aufgewachsen sind, beruflich verändern. Zum Beispiel vom Sanitäter zum Chefarzt und dann aktuell zum Leiter eines Impfzentrums. Wenn man diese Kontakte hält, kann man später darauf zurückgreifen und vielleicht in anderer Konstellation erneut zusammenarbeiten.

 

Warum ist Innovation so wichtig?

Nicht innovativ zu sein, bedeutet Stillstand – und das ist das Schlimmste, was passieren kann. Ich bin in einem Alter, in dem man an gewisse Dinge denken kann, aber ich möchte mich nicht zur Ruhe setzen. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen entwickeln wir täglich neue Ideen. Wir wollen uns stetig fortbewegen. Das Nicht-Rasten ist bestimmt auch ein Erfolgsfaktor.

Es ist besonders wichtig, alle mitzunehmen, allein geht’s nicht. Du brauchst deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit dir den Weg gehen. Gute Fachkräfte sind Mangelware und wir setzen auf Ehrlichkeit, Vertrauen und Zuverlässigkeit im Umgang mit ihnen. Man kann nicht alle Wünsche erfüllen, aber wir hören uns die Sorgen an und versuchen, darauf einzugehen. Unsere Belegschaft, die jeden Tag „an der Front ist“, hat oft die besten Ideen für Innovation.

 

Was wünschen Sie sich aktuell von der Gesellschaft und Politik?

Es ist keine Lösung, immer jemanden an den Pranger zu stellen und mit dem Finger in der Wunde zu stochern. Jedem einzelnen wird aktuell das Pflichtbewusstsein abverlangt zu verstehen, dass wir uns noch immer im Krisenfall befinden. Wenn wir nicht zusammenhalten, kommen wir aus dem Hamsterrad nicht raus.

Von der Politik wünsche ich mir Ehrlichkeit, Transparenz und zielorientiertes Vorgehen. Ich möchte die Entscheidungen nicht treffen, aber Fachberater sollten gehört und weise gewählt werden. Das Vertrauen der Menschen ist wichtig, damit Verständnis für bestimmte Maßnahmen herrscht. Mit Skandalen und dem Füllen der eigenen Taschen, verspielt man es sich.

Denn wir müssen im Dienst jeden Tag mit der Stimmungslage umgehen und manchmal auch den Unmut der Bürgerinnen und Bürger aufsaugen. Glücklicherweise bekommen wir aber auch täglich Dankschreiben für unsere Organisation und unser Personal. Es macht uns stolz, dass wir den Menschen das Gefühl vermitteln, dass sie bei uns bist du gut aufgehoben sind.

 

Was würden Sie einem Gründer mit auf dem Weg geben?

Glaube an dich selbst, an dein Projekt und dein Geschäftsmodell. Du brauchst ein Ziel vor Augen, das klingt zwar abgedroschen, aber nur mit Ziel vor Augen, findest du deinen Weg. Das war auch für uns am Anfang so. Wir hatten viele Baustellen auf dem Weg in die Gegenwart, viele Prozesse und Hürden, mit denen wir erst nicht gerechnet haben, da sie nicht absehbar waren. Aber so ist es nun mal: Dinge passieren, man muss sie annehmen und das Beste daraus machen.

 

Eine letzte Frage: „Trambahnführen ist mein Ausgleich zum Lebenswerk“ – was hat es mit dieser Aussage auf sich?

Trambahnfahren ist meine Leidenschaft, der ich regelmäßig nachgehe. Ich habe das quasi mit der Muttermilch aufgesogen und von meinen Eltern vererbt bekommen. Es ist mein Ausgleich zur Arbeit, da ich hier komplett abschalten kann, nicht erreichbar bin und mich auf das Fahren konzentrieren muss.

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